Rede: Anti-Nazi-Kundgebung in Kamen

gehalten am 28.04.2007

Hallo liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin Mitglied der Antifaschistischen Aktion Kamen und möchte in dieser Funktion einige Wort an euch richten:

Wir sind echt glücklich, dass so viele Leute heute zur Kundgebung gegen den Naziaufmarsch nach Kamen gekommen sind. Besonders schön ist es, so viele Kamener und Kamenerinnen zu sehen. Das war am Montag, als bekannt wurde, dass die „Freien Kameradschaften“ aus Dortmund und Hamm hier auflaufen würden, noch nicht abzusehen. Wir finden es wichtig, dass sich nun so ein großes Bündnis gebildet hat. Denn konsequenter Antifaschismus darf nicht nur Aufgabe von Jugendlichen oder einer radikalen Linken sein. Im Kampf gegen die Neonazis sind wir alle gefordert.

Einerseits können wir uns aber auch ein wenig zurück lehnen, denn die Nazis, die gleich versuchen werden auf dem Willy-Brandt-Platz zu reden, werden zum Großteil nicht aus Kamen kommen. Ihr Anmelder Sascha Krolzig z.B. ist Hammer. Doch das ändert nichts an der unglaublichen Provokation, die von jedem Naziaufmarsch 62 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ausgeht. Die Nazis um Sascha Krolzig versuchen auch gar nicht ihre Gesinnung und verbrecherische Überzeugung zu verstecken: Jemand wie er stellt sich hin und sagt ganz offen: „Ich bin Nationalsozialist“ – so z.B. geschehen vor einigen Monaten auf einer Gewerkschaftsveranstaltung. Und ihre Transparente und Flugblätter unterschreiben sie mit „Nationale Sozialisten“ – auch das ist eindeutig.
Darum finde ich es richtig, dass wir so entschieden demonstrieren. Und dass nicht, wie in anderen Städten so oft weggesehen wird und behauptet wird, Ignoranz würde ihnen mehr schaden als aktiver Widerstand.
Daher ist es vollkommen egal, woher die Nazis kommen und wo sie demonstrieren. Unser Widerstand ist immer gefragt. Und wenn es nach mir ginge, dann würden die Nazis heute auch nicht einmal auf dem abgelegenen Willy-Brandt-Platz stehen, dann dürften sie hier keinen Meter machen, keinen Fuß auf den Boden setzen!

Andererseits geht auch von jedem Aufmarsch die Gefahr aus, dass doch die eine oder der andere rechte Jugendliche daran teilnehmen will – und auch wenn es z.Z. keine bedeutende, rechte Szene in Kamen gibt, so gibt es diese Jugendlichen schon. Und es gibt im Kreis Unna einen wieder aktiver werdenden Kreisverband der NPD, der vom Unnaer Versicherungsmakler Hans Jochen Voß geführt wird. Er besitzt die VVZ GmbH auf dem Markt in Unna. Die NPD versucht vor allem durch Schulungsveranstaltungen ihre Strukturen zu stärken. Noch immer scheinen sie Gastwirte zu finden, die ihnen ihre Räumlichkeiten überlassen. Das sei hier deutlich gesagt, es gibt gar keinen Grund dies zu tun: Eine rassistische und menschenfeindliche Partei wie die NPD gehört vor die Tür gesetzt.

Jetzt habe ich ganz viel über die Neonazis erzählt und es ist sicher einfach mit dem Finger auf sie zu zeigen und zu sagen: „Das sind die Nazis, mit denen wollen wir nichts zu tun haben“
Klar, das ist richtig, aber die Ideologie, die die Nazis – wenn auch in radikalster Form und in Zuspitzung vertreten – ist auch in anderen Teilen der Gesellschaft vorhanden. Sie ist kein Problem des Randes, sondern der Mitte. Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus und Nationalismus, all das findet sich auch bei Leuten, die nicht die NPD wählen. Leider ist das ein Problem, welches in den letzten Jahren eher zugenommen hat. Es gibt eine ganze Reihe Studien, die dies belegen, jüngst die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Einige Beispiel daraus:

39,5 % der befragten Bürger in Deutschland sind der Meinung, dass „wir wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben sollten“.
Wenn sich die Nation formiert – und da kann auch kein vermeintlicher Party-Patriotismus drüber hinwegtäuschen – dann geschieht dies in Abgrenzung, zu denen, die nicht dazu gehören sollen. Dann werden die Grenzen – innen oder außen – festgezogen und geschlossen. Dann ist selbst der Kollege, mit dem man seit 30 Jahren zusammen arbeitet, bloß „der Türke“ oder „der Ausländer“.

42,3 % der Bürger im Osten und 35,2 % im Westen sind der Meinung „Die Ausländer kommen nur hierher um unser Sozialsystem auszunutzen“. Die Aussage: „Wenn die Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat schicken“ bejahen 34,9 % der Bundesbürger.
Was heißt das anderes als „Arbeit zuerst für Deutsche“ und „Ausländer raus“ – die bekannten Parolen der NPD?

Selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern ist dieser Rassismus vertreten. Statt sich auf einen Internationalismus zu besinnen und für ein gutes Leben für alle Menschen zu kämpfen, ordnet man sich den Interessen des Standortes unter und lässt sich gegeneinander ausspielen, in der Hoffnung ein paar mehr Krümel vom Kuchen zu bekommen als die Kolleginnen aus Polen. Die Idee, die ganze Bäckerei zu fordern und die Rezeptur des Kuchens zu ändern, scheint leider vergessen.

Auch der Antisemitismus ist nicht Vergangenheit. 20,1 % im Westen und 9,2 % im Osten glauben „auch heute ist der Einfluss der Juden zu groß“. Dieser Wahn vom „jüdischen Einfluss“ und der angeblichen Weltverschwörung war der Antrieb für das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte. Solche Zustimmungswerte mit dem Wissen um Auschwitz ist mir unbegreiflich und macht mir Angst.

Dort wo Rassismus und Antisemitismus vorherrschen, ist das demokratische Bewusstsein schwach. 26,5 % der Deutschen glauben, Deutschland brauche jetzt „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ Hier zeigt sich eine Akzeptanz selbst für eine Diktatur. Wohlgemerkt „Volksgemeinschaft“ bedeutet auch hier nur die angepassten Deutschen ohne Migrationshintergrund.

Es sind nicht nur Nazis, die diese Positionen vertreten. Es sind „normale“ deutsche Bürger, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Und es sind auch die großen Volksparteien, die immer wieder solche Stimmungen bedienen und verstärken.

Das schafft u.a. ein Klima, welches den Abbau von Grund- und Freiheitsrechten erheblich erleichtert. Innenminister Schäuble und sein Amtsvorgänger Schily wissen ein Liedchen davon zu singen. Ohne viel Aufhebens gelang es ihnen,. die Rechte der Bürgerinnen gegen den Staat einzuschränken und selbst Errungenschaften, die gerade aus der Erfahrung mit der Nazi-Diktatur stammen – wie die Trennung von Polizei und Geheimdiensten – aufzuheben.

Das schafft ein Klima, in dem die Entrechtung von Menschen durch staatliche Institutionen mühelos vollzogen werden kann. Weil sich viel zu wenige daran stören, dass Flüchtlinge in Lagern mitten im Wald, mit Katinenfraß und Überwachung und Schikanierung durch das Amt leben müssen. Dass man ihnen die Bewegungsfreiheit und ein Bleiberecht verweigert und immer wieder gegen ihren Willen abschiebt.

Und das schafft letztendlich ein Klima, in dem auch Wahlerfolge der NPD möglich sind.

Es ist also viel zu tun. Antifaschismus ist mehr als der Kampf gegen die organisierten Neonazis. Klar, ihnen werden wir keinen Raum freiwillig überlassen, aber es geht um mehr: Es geht um ein Ende von Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung, um das gute und schöne Leben für Alle, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Leistungsfähigkeit. Es geht um nicht weniger als eine Welt, in der jede und jeder ohne Angst anders sein und leben kann.

Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: http://library.fes.de/pdf-files/do/04088a.pdf