Immer neue Details über die grausame Nazi-Mord-Serie werden bekannt: 13 Jahre lang konnten bekannte Neonazis aus Thüringen in der ganzen Republik Migrant_innen regelrecht hinrichten und mit Bombenanschlägen schwer verletzten. Obwohl die drei Täter_innen bereits 1998 wegen Bombenbau im Visier der Sicherheitsbehörden standen, konnten sie abtauchen und aus der Illegalität heraus weiter morden. Klar ist schon jetzt: Nicht nur die polizeilichen Ermittlungsbehörden haben geschlampt. Vor allem der deutsche Inlandsgeheimdienst, der so genannte Verfassungsschutz (VS), hat total versagt, obwohl er alles andere als ahnungslos war. Das ist nicht das erste Mal: Bereits 2007 sorgte der Lünener Neonazi Sebastian Seemann für einen VS-Skandal. Wir blicken zurück…
Die Rolle des Verfassungsschutzes
Die Verfassungsschutzämter verfügen über ein großes Spitzel-Netz, die so geannten V-Leute. Die Mitglieder der Nazi-Terrorzelle waren Teil der „Thüringischen Heimatschutzes“, deren Führer über Jahre insgesamt 200.000 Mark an Spitzelsalär vom Verfassungsschutz bezogen hat. Er war ein V-Mann des Thüringischen Landesamtes. Der Behörde stand bis 2000 ein Leiter vor, der heute u.a. im extrem rechten Ares-Verlag publiziert, in dem auch NPD-Funktionäre wie Olaf Rose ihre Bücher veröffentlichen. Doch die Geheimdienst-Verstrickungen gehen weiter. Zumindest an einem, evtl. sogar an mehreren Tatorten, befand sich zur Tatzeit ein Verfassungsschutz-Agent, der für seine rechtsradikale Gesinnung bekannt ist. Zudem wurden bei den Nazi-Tätern so genannte legale illegale Papiere gefunden – also Ausweisfälschungen wie sie nur Geheimdienste benutzen.
Die Ermittlungen über die Nazi-Mord-Serie stehen noch nicht am Ende, trotzdem ist sicher: Es handelt sich hierbei wohl um den größten Geheimdienst-Skandal der Bundesrepublik, aber nicht um den einzigen. Immer wieder waren V-Leute aus der Neonazi-Szene in erhebliche Straftaten verwickelt, immer wieder wurden sie von den Verfassungsschutzbehörden gedeckt, teilweise vor polizeilicher Strafverfolgung geschützt. Viele V-Männer gaben an, dass sie Teile ihres Gehaltes in den Aufbau von Neonazi-Strukturen investiert haben. Alleine in Thüringen flossen zwischen 1994 und 2000 über 1,5 Millionen Mark an Spitzelgehältern!
Ein Beispiel aus dem Jahr 2007: V-Mann-Skandal um Sebastian Seemann
2007 wurde bekannt, dass es sich bei dem Neonazi Sebastian Seemann, um einen V-Mann des Verfassungsschutzes handelte, der für seine Dienste zwischen 500 – 1000 Euro monatlich erhielt. Sebastian Seemann bewegte sich viele Jahre in der Szene in Dortmund und organisierte, auch während seiner Zeit als V-Mann Rechtsrock-Konzerte für das verbotene Blood & Honour Netzwerk. Zugleich handelte er aber im großen Stil mit harten Drogen und betrieb, wie unsere Recherchen öffentlich machten, eine „unpolitische“ Rockkneipe in Lünen. Als ein Drogendeal schief ging, musste sein Freund Robin Sch., ebenfalls ein Neonazi, das verlorene Geld durch einen Raubüberfall auf einen Plus-Markt in Dortmund-Brechten wieder hereinholen. Dabei schoss er einen Kunden an und verletzte ihn schwer. Vor Gericht sagte er aus, Seemann habe ihn zum Überfall gedrängt und ihm auch die Waffe besorgt. Tatsächlich hatte die Polizei bei Seemann ein umfangreiches Waffendepot ausgehoben.
Alle diese Verbrechen spielten sich unter den Augen des Verfassungsschutzes ab. Schlimmer noch, es konnte belegt werden, dass dieser Seemanns kriminelle Machenschaften deckte und ihn sogar vor Ermittlungen der Polizei warnte. Die Drogenfahndung aus Bielefeld ermittelte gegen Seemann wegen mutmaßlicher Kokain-Deals in Ostwestfalen. Dabei hörten sie auch sein Mobiltelefon ab. Seemanns V-Mann-Führer, also der Kontaktbeamte des Verfassungsschutzes, riet ihm daraufhin statt seines Mobiltelefons öfter eine Telefonzelle zu nutzen.
Wir schrieben deshalb 2007 in einer Stellungnahme:
Das ein schwer krimineller Neonazi und mutmaßlicher Waffenhändler wie Sebastian Seemann, der zudem im angrenzenden Ausland Konzerte für eine in Deutschland verbotene Gruppe organisiert, im Sold des Verfassungsschutzes steht ist ein Skandal. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt zudem gegen einen noch unbekannten Verfassungsschützer wegen des Verdachts des Geheimnisverrates und der Strafvereitlung. Er soll Seemann von polizeilichen Ermittlungen gegen ihn gewarnt haben. Dieser Skandal zeigt einmal mehr, dass das V-Leute-System abgeschafft gehört. Es dient augenscheinlich eher dem Schutz der Neonazis.
An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert, sie wird durch die aktuellen Erkenntnisse aus Thüringen gestützt. Geheimdienste sind keine Partner im Kampf gegen den Neonazismus, durch das V-Leute-System pumpen sie vielmehr indirekt viel Geld in die Neonazi-Szene und schützen „ihre“ V-Männer vor Strafverfolgung!
Wir fordern, die Auflösung des Verfassungsschutzes sowie die Abschaffung des V-Mann-Systems!
Stellungnahmen
http://antifaunited.blogsport.de/2007/10/19/v-mann-skandal-neonazi-betreibt-kneipe-in-luenen/
http://antifaunited.blogsport.de/2008/01/18/entwicklungen-im-v-mann-skandal-innenminister-wolf-will-ermittlungen-gegen-verfassungsschuetzer-verhindern-anklage-gegen-v-mann-sebastian-seeman-erhoben/