Neonazis aus Unna und Dortmund erhielten das ‘Manifest’ von Anders Breivik per E-Mail
An „mehrere hundert“ Mail-Adressen in der ganzen Welt verschickte der Attentäter von Oslo/Utøya eine Stunde vor seiner Tat seine Schrift ‘2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung’. Unter den Empfänger_innen waren auch drei Adressen aus NRW – neben ‘proKöln’ auch der NPD Kreisverband Unna/Hamm sowie der “Nationale Widerstand Dortmund”. Inhaltlich dürften Breiviks Thesen und Schlußfolgerungen bei allen dreien nicht auf taube Ohren gestoßen sein. Vor allem das nicht enden wollende Beschwören des „Volkstodes“, in dem sich die lokalen Neonazis aus dem östlichen Ruhrgebiet immer wieder aufs Neue ereifern, zeigt Parallelen zur Gedankenwelt des Massenmörders Breivik. Wie man auf die „Überfremdung Europas“ und den „Kulturmarxismus“ reagieren sollte, hat jener vorgemacht: mit Terror und Vernichtung. Sein Manifest versteht Breivik auch als Aufruf es ihm gleich zu tun und den “bewaffneten Kampf” zu beginnen.
Klar sollte sein, dass es sich bei dem Attentäter von Oslo wohl um einen Psychopathen handelt, der aber dennoch fähig ist, seine Tat politisch zu begründen. Seine brutalen Mordtaten stehen nicht im Widerspruch zu seinem rechten Weltbild, das er sich mit seinen „deutschen Brüdern“ teilt. Denn Gewalt ist im (neo-)nazistischen Weltbild explizit angelegt und tendiert schon in ihren Ursprüngen und kleineren Auswüchsen zur Vernichtung des konstruierten Gegen-Bildes.
Rechte Gewalt
Ein aktuelles Beispiel ist der Brandanschlag auf ein von Sinti und Roma bewohntes Haus in Leverkusen, der sich in der Nacht auf den 25. Juli ereignete. Hier liegt der Verdacht eines rassistisches Tatmotivs nahe – auch weil die extrem rechte Partei “pro NRW” im September letzten Jahres eine Demonstration durchführte, die sich explizit gegen diejenige Familie richtete, die nun Opfer des Brandanschlags wurde. Immer wieder hatten die Rechten die Familie als “krimineller Clan” diffamiert.
Auch ein Beispiel aus der Vergangenheit mit höherem terroristischen Gehalt ließe sich aufführen: beim Münchener ‘Oktoberfestattentat’ 1980 starben 13 Menschen durch eine Bombenexplosion. Täter war Gundolf Köhler, langjähriges Mitglied einer paramilitärer Neonazigruppierung – der kurz zuvor verbotenen “Wehrsportgruppe Hoffmann”.
Gewalttätig sind auch die parteifreien Neonazis in Dortmund und Unna. Sie schrecken neben Schmierereien und Sachbeschädigung auch vor gezielten Angriffen auf politische und ‘weltanschauliche’ Gegner_innen nicht zurück. Die NPD Unna/Hamm steht hier nicht außen vor. Im östlichen Ruhrgebiet pflegt sie ein symbiotisches Verhältnis zu den ‘Freien Kräften’. Eben jene unterstützen die NPD im Wahlkampf oder schützen ihre Infostände, im Gegenzug leistet die Partei – namentlich der Kreisvorsitzende Hans-Jochen Voß – finanzielle Unterstützung. (mehr dazu in unserer Broschüre)
Religiöser ‘Kreuzritter’ oder Nazi-Terrorist?
Auch wenn sich in Anders Breiviks Weltbild und Selbstdarstellung viele Bezugnahmen auf christliche Symboliken finden, ist er nicht einfach ein christlicher Fundamentalist. Die Betonung der ‘christlichen Mission’ und des Selbstverständnisses als ‘Kreuzritter’ dienen ihm vielmehr als Ausdruck seiner wahnhaften Vorstellungen eines Krieges gegen “den Islam”, den er führen will. Diese Bezugnahme auf ein zu verteidigendes “christliches Abendland” mögen ihn zwar eher in die Richtung rechtspopulistischer Strömungen stellen – nicht umsonst rückt jetzt der deutsch-schwedische Pro-Funktionär Patrik Brinkmann als möglicher Kontaktmann in den Fokus der Behörden -, eine ideologische Verwandtschaft zur klar nazistischen Weltanschauung ist trotzdem gegeben und seitens Breivik, wie die E-Mails belegen, auch durchaus erwünscht. So sah er die europäischen Politiker als “Marionettenführer der aktuellen Weltordnung” an und kämpfte sowohl gegen die “Tyrannei” der USA, gegen “kulturelle Marxisten” sowie gegen “kapitalistische Globalisten” und das “jüdische Finanzinstrument”. Alles Chiffren aus dem antisemitischen Jargon, wie sie in trauter Regelmäßigkeit auch von den lokalen Neonazis-Gruppierungen verwendet werden.
Generell distanzieren sich beide Strömungen der extremen Rechten voneinander. Legt die Pro-Bewegung vor allem Wert darauf, nicht als ‘neonazistisch’ abgestempelt zu werden, betont das Spektrum von den sogenannten ‘Freien Kräften’ bis zur NPD, dass sie die einzig wahre „nationale Opposition“ seien, das Adjektiv ‘extrem’ gebühre nur ihnen. Vor allem die seitens der rechtspopulistischen Strömung forcierte vermeintliche ‘Israel-Freundschaft’, die sie als Beleg ihrer angeblichen demokratischen Läuterung verstanden wissen will, stößt bei den völkischen Neonazis auf Ablehnung (s. http://projekte.free.de/lotta/pdf/43/l43_in_allianz.pdf). So betitelte das “Freie Netz Unna” im Juli 2010 einen ‘Artikel’ auf ihrer Internetpräsenz “Rechtspopulisten entlarven: Juden sind nicht ‘rechts’!”.
Gegen beide Argumentationen gibt es seit dem Auftreten von Anders Breivik einen Beweis mehr – beide Strömungen sind sich nämlich näher als ihnen lieb ist.
Distanzierung, Verschwörungstheorien und Verherrlichung des Massenmords
Relativ eilig mit einer Distanzierung hatten es zumindestens die (norwegischen) Rechtspopulist_innen, deren Mitglied Breivik bis 2006 war: “Sie bezeichnen die Tat als schrecklich. Das fällt ihnen schwer, weil sie selbst eine radikale Rethorik entwickelt haben”, so Johannes Jakobsson von der antifaschistischen Zeitschrift ‘Expo’ aus Schweden (WAZ, 26.07.2011). Die “Kameradschaft Hamm” ordnet den Attentäter hingegen der eindeutig rechtspopulistischen Strömung zu: Es handele “sich bei Anders Behring Breivik um einen christlich-fundamentalistischen, anti-islamischen, pro-zionistischen Freimaurer und damit um jemanden, dessen politischer Dunstkreis in etwa bei PRO, dem Front National oder Geert Wilders‘ „Partei für die Freiheit“ zu verorten ist. Mithin ist Breivik jemand, der mit Nationalismus und Faschismus nicht das Geringste zu tun hat.” Wie gesagt, die Neonazi-Gruppierungen sehen sich selbst die einzig wahren “Widerstandskämpfer”.
Warum allerdings gerade das Prädikat “anti-islamisch” ein Abgrenzungskriterium sein soll, bleibt wohl auch das Geheimnis der “Kameradschaft Hamm”. So läuft momentan – genauso wie “pro NRW” – eben jene “Kameradschaft Hamm” Sturm gegen einen Moscheebau in Hamm-Herringen. Auch hier wird wieder die Nähe beider Strömungen deutlich.
Die NRW-NPD übt sich hingegen schon in Verschwörungstheorien: “Gerade heute, wo immer mehr Völker in Europa beginnen aufzuwachen und sich auch für nationale und anti-islamistische Forderungen empfänglich zeigen, kommt ein ,wahnsinniger Neonazi’ gewissen Kreisen sehr gelegen, um ein weiteres Vorgehen ,gegen rechts’ zu rechtfertigen”, so ihr Landesvorsitzende Claus Cremer. Ein Griff in den Verschwörungs-Baukasten soll das Nazi-Gemüt besänftigen.
Bezeichnend für die Nähe der deutschen Neonazis zu den Anschlägen in Norwegen ist die Verhöhnung der Opfer, die als Linke und Sozialdemokrat_innen zu ihren Feindbildern gehören. So veröffentlichte die “Kameradschaft Hamm” trotz aller angeblichen Distanz zum “pro-zionistischen Freimaurer” Breivik beispielsweise die letzte Twitter-Nachricht des Attentäter als ihren neuen “Spruch der Woche”. In Kommentaren wurde das Attentat als ein “86:0 Sieg” bezeichnet. Ihre Begeisterung für die Tat wollen die Neonazis nicht verstecken. Die Stadtsanwaltschaft Dortmund prüfte übrigens, ob sie in diesem Fall ein Strafverfahren wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener einleitet. Ergebnis: negativ.
Bleibt die Frage nach gewählten Empfänger_innen-Auswahl. Es kann als eher unwahrscheinlich betrachtet werden, dass es wirklich zu vorigen Kontakten zwischen dem Attentäter und den lokalen Nazi-Gruppierungen gekommen ist. Trotzdem – und das sollte hier in seinen Grundzügen herausgestellt werden – schickte er die Mails wohl an die richtigen Adressen. Das zeigt die ideologische Verwandtschaft und die inhaltliche Nähe.
Presse:
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http://www.derwesten.de/nachrichten/Attentaeter-verschickte-sein-Manifest-an-Rechtsradikale-in-Deutschland-id4905917.html
– http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,776341,00.html
– http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Hatte-der-Attentaeter-Breivik-Kontakt-zur-Dortmunder-Szene-id4907333.html
– http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,776468,00.html
– http://nrwrex.wordpress.com/2011/07/26/nrw-anders-breivik-die-npd-und-%E2%80%9Epro-nrw%E2%80%9C/
Rechtsppopulismus in Norwegen
Veröffentlichung von ‘Der rechte Rand’ über die Szene in Norwegen
Weiterlesen
Stephan Grigat über den Antisemitismus des Anders Breivik (05. August 2011)
Gerhard Scheit über “den Antisemiten, der für Israel Partei ergreift: Methode Breivik” (03. August 2011)
“Der Elchtest der Islamkritik” (jungleworld Nr. 31, 04. August)