Die„Autonomen NationalistInnen“ sorgen für Irritationen: Nazis, die sich „selbstbestimmtes Handeln“ auf die Fahnen schreiben, Braunhemd und Bomberjacke gegen modische Markenturnschuhe, schwarze Basecaps und Windbreaker tauschen, englische Parolen auf ihre Transparente malen und auch mal Musik der linken Traditionsband „Ton Steine Scherben“ spielen? Das scheint nicht zusammen zu passen und es wird sich zeigen, dass die rechte Übernahme von Symbolen und Styles aus (linken) Jugendkulturen nicht eine einfache Kopie ist, sondern stets mit einer Umdeutung des Sinngehalts einher geht. Denn an den Inhalten der „Autonomen NationalistInnen“ hat sich nichts verändert. Dort dominieren knallharte Verherrlichung des Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus.
Umdeutung nicht-rechter Symboliken und Styles
Seit einigen Jahren bedienen sich Nazis großzügig in vielen verschiedenen Jugendkulturen wie dem Hardcore, dem HipHop oder der Ultrakultur der Fußballfans. Herausgepickt wird sich das, was auch Nazis attraktiv erscheint: Harte Musik, Graffitis und zur Schau gestellte Militanzbereitschaft. Nicht zuletzt beim politischen Gegner, der Antifa und anderen linken Gruppen, werden Symbole und Styles geklaut. Zum Beispiel das Logo der „Antifaschistischen Aktion“, was ursprünglich 1932 von der KPD geschaffen wurde, um in der „Antifaschistischen Aktion“ alle Nazi-GegnerInnen aus der ArbeiterInnenbewegung zu einen. Das Symbol, in den Siebziger Jahren von AntifaschistInnen wieder entdeckt, haben die Neonazis komplett sinn-entfremdet. Den Schriftzug tauschten sie gegen „Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion“ aus. Aus einem Symbol gegen Nazis wurde ein Symbol, mit dem die TrägerInnen sich als Nazis bekennen: „Nationale Sozialisten“ meint nichts anderes als „Nationalsozialisten“. Wer also meint, aufgrund von oberflächlich ähnlichen Symboliken von einer Ähnlichkeit von Links und Rechts zu sprechen, verschweigt nicht nur die Enteignung dieser Symboliken durch die Nazis, sondern ist auch blind für die grundsätzliche Umdeutung der Inhalte. Aus fortschrittlichen linken Positionen, die für Gleichheit, Freiheit und Solidarität stehen, machen Nazis Symboliken des Hasses, der Ausgrenzung und des Faschismus.
Die „Autonomen NationalistInnen“ sind ein Resultat einer „Modernisierung“ der Nazi-Szene. Die Nazis haben erkannt, dass sie mit einer altbacken wirkenden Verpackung ihre Inhalte nur schwer an Jugendliche bringen können. Seit 2003 entstanden in Deutschland immer mehr Gruppen der „Autonomen NationalistInnen“, zuerst entwickelten sie sich aus den Freien Kameradschaften. Freie Kameradschaften sind Nazi-Gruppen, die nicht in Form einer Partei oder eines Vereins organisiert sind, oftmals aber mit Parteien wie der NPD zusammen arbeiten. Im Ruhrgebiet und im Rheinland dominieren die „Autonomen NationalistInnen“ mittlerweile dieses partei-freie Spektrum der extremen Rechten. Vor allem Dortmund hat sich zu einer bundesweit bedeutenden Hochburg entwickelt. Gleichzeitig wurde mit neuen Aktionsformen experimentiert. Neben der Aktionsform des Aufmarsches wurden nun verstärkt Graffities gesprüht oder kleinere Aktionen durchgeführt, die sich im Internet in eigenen Videos als besonders „cool“ und „rebellisch“ darstellen lassen. Diese Aktionen brauchen kaum Vorbereitungszeit und erfordern kein großes inhaltliches Wissen. Flugblatt- und Sprühvorlagen lassen sich einfach aus dem Internet herunterladen. In der Nazi-Szene wird dies als „Do it yourself“-Aktionismus bezeichnet. In diesem „autonomen“ Handeln sollen sich die „Autonomen NationalistInnen“ von anderen Rechten unterscheiden. „Autonomie“ bedeutet für sie aber lediglich ein bestimmter Kleidungsstil, die Inszenierung von „Schwarzen Blöcken“ auf Demos und eine Nicht-Mitgliedschaft in Parteien. Mit mehr Inhalt können die Nazis den Begriff der „Autonomie“ (griechisch: Selbstbestimmung) nicht füllen, was auch zugegeben wird. So heißt es dazu im Internet: „Der Autonome Nationalismus bezeichnet eine Agitationsform […] Eine eigene Weltanschauung o.Ä. ist mit AN nicht gemeint.“ Deshalb hat die „Autonomie“ der „Autonomen NationalistInnen“ auch keinen Einfluss auf ihre Gruppenstrukturen, die weiter hierarchisch nach dem Prinzip „Führer und Gefolgschaft“ organisiert sind, was auch AussteigerInnen aus der Nazi-Szene bestätigten. Die Übernahme neuer jugendkultureller Ausdrucksformen hat einige Regeln in der Nazi-Szene aufgeweicht. Zwar können Nazis nun auch lange Haaren tragen, ohne, dass sie deshalb von ihren „Kameraden“ ausgegrenzt werden, abweichendes Verhalten wird aber nicht geduldet – erst recht nicht eine offen ausgelebte Homosexualität oder gar eine Abkehr vom Bekenntnis zum Nationalsozialismus.
Nicht frei, nicht sozial – einfach nur Nazi
Die Verherrlichung des Nationalsozialismus ist bei den „Autonomen NationalistInnen“ zentral – sei es, dass alljährlich des Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess oder den Gefallenen aus Waffen-SS und Wehrmacht gedacht wird oder sei es, dass sich zur „Volksgemeinschaft“ bekannt wird. Wenn sich die Nazis gegen Kapitalismus und Globalisierung aussprechen, folgen keine Kritik an den ökonomischen Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise, sondern antisemitische Verschwörungstheorien: Für die gesamte wirtschaftliche Misere werden Juden und Jüdinnen verantwortlich gemacht, die angeblich die Geschicke der Welt lenken würden. Nach dem gleichen Muster funktioniert auch ihre „Kritik“ am Imperialismus. Der Rassismus der Nazis hat sich ebenfalls nur in der Wortwahl verändert. Hinter der Forderung nach der „Vielfalt der Völker“ verbirgt sich offener Rassismus. Beim NW Unna heißt es zum Beispiel: „Wer Vielfalt will, muss die Homogenität innerhalb eines Volkes, aber die biologisch natürliche Heterogenität der Völker anerkennen…“ – Was nichts anderes heißt, als dass „Volk“ als biologische Einheit definiert wird und dass sich die verschiedenen “Völker” grundlegend biologisch von einander unterscheiden sollen. Das ist „Rassenlehre“ in Reinform. Weiter heißt es: „… erst dadurch ist der Fortbestand jedes Volkes gesichert, ebenso wie die friedliche Koexistenz aller Menschen in ihrem Volke, in ihrem angestammten Lebensraum.“ Wenn die Menschen also erstmal verschiedenen „Völkern“ zugeordnet sind, dann haben sie sich gefälligst in ihrem angeblich „angestammten Lebensraum“ aufzuhalten. Welcher Lebensraum wem zusteht, entscheiden natürlich die Nazis. Jedes “Volk” soll „rein“ bleiben, um seinen „Fortbestand“ zu sichern. Das ist rassistischer Irrsinn, der wissenschaftlich schon hunderte Male widerlegt ist. Das stört die Nazis aber nicht, denn mit dieser Ideologie wollen sie ihren Vormachtsanspruch begründen. Schon hier findet sich alles, was später als Legitimation dient, Menschen auszugrenzen, zu verfolgen und umzubringen. Man sollte sich auch nicht täuschen lassen, wenn die Nazis gleichzeitig „Solidarität mit Palästina“ fordern. Denn nach dieser Logik ist man durchaus bereit, den PalästinenserInnen einen „Lebensraum“ zu zu gestehen, nur nicht Deutschland versteht sich. Wenn sich der Kampf der PalästinenserInnen gegen Israel (in Augen der Nazis: „die Juden“) richtet, sehen die Nazis auch noch Gemeinsamkeiten.
„Autonome NationalistInnen“ und Gewalt
Durch die „Autonomen NationalistInnen“ hat sich das Auftreten von Neonazis auf Demonstrationen gewandelt. Waren sie früher stets darum bemüht, einen geordneten und gegenüber der Polizei kooperativen Eindruck zu erzeugen, kommt es nun aus Nazidemos vermehrt zu Angriffen gegen JournalistInnen oder GegendemonstrantInnen. Die „Autonomen NationalistInnen“ bilden „Schwarze Blöcke“, die den TeilnehmerInnen ein besonderes Gefühl von „Gemeinschaft“ und „Stärke“ vermitteln sollen. Die Aufmärsche sollen eine „Aura der Gewalt“ erzeugen, die politische GegnerInnen einschüchtert. Doch diese Gewalt ist nicht das Hauptproblem. In der Diskussion um Nazi-Gewalt auf Demos gerät aus dem Blick, dass rechte Gewalt in Deutschland seit vielen Jahren an der Tagesordnung ist. Rechte Gewalttaten bis hin zu Morden geschehen oftmals relativ spontan, wie zum Beispiel der Mord an dem 55-jährigen Bernd K., der letztes Jahr von Nazis in Templin ermordet wurde, weil er in ihren Augen ein „Asozialer“ war und deshalb kein Recht zum Leben hatte. In Dortmund wurde 2005 der Punk Thomas Schulz von einem jugendlichen Kameradschaftsmitglied erstochen. Auch wenn diese und andere Taten spontan aus einer Situation heraus entstanden, so sind sie doch immer auf das menschenverachtende Weltbild der Nazis zurück zu führen, mit dem sie ihre Gewalt gegen Linke, MigrantInnen, JüdInnen, Obdachlose und Drogenkranke legitimieren.
Immer wieder greifen Neonazis auch ganz gezielt und planvoll Menschen an. Diese Angriffe haben mit dem selbstbewussten Auftreten der „Autonomen NationalistInnen“ vielerorts leider zugenommen. In Dortmund werden regelmäßig linke Treffpunkte und alternative Kneipen angegriffen, Wohnhäuser von AntifaschistInnen besprüht. Die Nazis wollen so die Vormacht auf der Straße erlangen und Angsträume schaffen, in die sich politische GegnerInnen und MigrantInnen nicht mehr trauen. Wer diese Nazi-Angriffe als „Rechts-Links-Konflikte“ und als „Gewalt rivalisierender Jugendbanden“ bezeichnet, wie es manche PolitikerInnen und PolizistInnen tun, verkennt, von wem die Gewalt ausgeht und dass sie durch die Nazi-Ideologie begründet ist.