Tag der Befreiung vom Faschismus in Kamen

Bericht über den historischen Stadtrundgang durch Kamen am 10.04.2005
stadtrundgang

Über 50 Menschen allen Alters folgten dem Aufruf der Antifaschistischen Aktion Kamen und der Bürgerinitiative “Zivilcourage für Kamen” den sechzigsten Jahrestag der Befreiung vom Faschismus zu gedenken. Am 10. April 1945 befreite die US-Army die einstige nationalsozialistische Hochburg Kamen (Westf.). Der Einmarsch um 13.00 Uhr beendete die Herrschaft des Nationalsozialismus in der Kleinstadt zwischen Hamm und Dortmund. Am Vormittag war es noch zu heftigen Gefechten gekommen. Am Sonntag wurde deshalb um 14.00 Uhr eine Gedenkkundgebung und ein historischer Stadtrundgang veranstaltet.

Aus dem Aufruf:

10. April, 1945 Als mittags gegen 13.00 Uhr die ersten amerikanischen Panzer auf den Markt rollten, war die Zeit des Nationalsozialismus in Kamen zu Ende. Die einstige nationalsozialistische Hochburg war befreit. Den Vormittag über war es noch zu heftigen Gefechten – auch mit Toten – gekommen. Volkssturm und Waffen-SS Einheiten beschossen die von Heeren-Werve vorrückende US-Army. An dem Damm der in Bau befindlichen Autobahn 2 waren Verteidigungsstellungen errichtet worden. Obwohl der Krieg in Kamen – für alle ersichtlich – längst verloren war, wurden die Befreier erbittert bekämpft. Bis auch die Letzen gegen 12.00 Uhr die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes einsehen mussten. Die Waffen schwiegen von nun. Noch am Tag zuvor waren in Kamen zwei Deserteure standrechtlich erschossen worden. Viele KamenerInnen erlebten den 10. April zwar als Ende eines grausamen Krieges, aber vielmehr als Besatzung, denn als Befreiung. Der Nationalsozialismus war erst durch ihre Mitwirkung und Unterstützung möglich gewesen. Sie identifizierten sich mit dem Nazi-Regime. Wie die Schlusskämpfe zeigten, waren einige sogar noch bereit für die Aufrechterhaltung dieser verbrecherischen Ordnung zu sterben. So war der 10. April vielmehr der Tag der Befreiung für all jene, die unter dem menschenverachtenden, nationalsozialistischen Regime leiden mussten. In Kamen waren dies vor allem die vielen Tausend Menschen, die zur Sklavenarbeit auf den Zechen und den Industriebetrieben gezwungen wurden.

Auf dem Markt und an zwei weiteren Orten in der Stadt wurde über die Zeit des Nationalsozialismus und die Geschehnisse des 10. April 1945 informiert. Zum Schluss ergriff noch eine Zeitzeugin das Wort, die die Befreiung als kleines Mädchen erlebt hatte. Sie berichtete von ihren persönlichen Erinnerungen an den Tag und an ihre erste Begegnung mit den amerikanischen Soldaten, die sie als sehr sympathisch empfand. Sie erzählte aber auch von den Schauermärchen und der Hetze, die ihre Eltern ihr erzählt hatten und sie vor den Amerikaner – vor allem von denen mit dunkler Hautfarbe – warnten.

Mit der Veranstaltung wollten die AntifaschistInnen aber nicht nur der Befreiung gedenken, sondern auch ein deutliches Zeichen gegen Neofaschismus setzen. Kritisiert wurde auch der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland. In einem Redebeitrag der Antifa Kamen wurde zu Ende der Veranstaltung vor allem auf “deutsche Opfermythen” eingegangen. Dort heißt es:
“Bei der Frage nach der Rolle der “ganz normalen deutschen” Bevölkerung hat sich nun auch öffentlich eine Betrachtungsweise durchgesetzt, die schon immer das Selbstbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft geprägt hat: Die Deutschen gelten als die von Hitler Verführten, Unterdrückten und von einer (Mit)Schuld weitgehend befreiten. Und sie werden vor allem als die Leidtragenden des Krieges gesehen.”

Der historische Kontext werde in den Debatten über alliierte Bombardierungen oder die Umsiedlung und Flucht aus den östlichen Gebieten fast vollständig ausgeblendet. Über den Zweiten Weltkrieg könne aber nicht geredet werden, ohne auf die Shoah und den verbrecherischen Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands zu beachten. Weiter:
“Dort wo sich zu einer Annerkennung von Schuld der deutschen Bevölkerung durchgerungen werden kann, wird diese relativiert, indem sie dem eigenen erfahrenen Leid gegenübergestellt wird. Alle haben irgendwie gelitten, alle haben sich irgendwie schuldig gemacht. Alle waren ein bisschen Opfer, alle waren ein bisschen Täter. Zurück bleibt eine Geschichte, die im Grauschleier unterzugehen droht. Eine Geschichte, die es ermöglicht, dass Deutschland wieder ungestört als Identifikationsobjekt benutzt werden kann.”

Die Antifa forderte ein Erinnern, dass sich nicht in ritualisierten Gedenkveranstaltungen mit Blick auf die Außenwirkung des Standortes erschöpft, sondern kritisch sowohl nach den Ursachen des Nationalsozialismus als auch nach der Bedeutung für die gegenwärtige Gesellschaft frage.

Die Veranstaltung fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Vergessen? Verdrängen? Erinnern?” statt. Die Antifaschistische Aktion Kamen ist organisiert in der Antifa UNited – Zusammenschluss antifaschistischer Gruppen im Kreis Unna